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Katholikinnen und Katholiken in Widerstand und Verfolgung

von Johannes Schönner

Der folgende Beitrag befasst sich mit Widerstand und Verfolgung von Katholiken und Katholikinnen, die sich aus religiösen, sittlichen ebenso wie aus Österreich-patriotischen u. ä. Motiven gegen das als unchristlich empfundene NS-Regime wandten. Dies ist nicht gleichbedeutend mit der – in der Praxis kaum durchführbaren – Feststellung des Religionsbekenntnisses. Innerhalb des Projekts „Namentliche Erfassung der österreichischen Opfer politischer Verfolgung 1938–1945“ war eine vollständige Untersuchung zur Frage „konfessionelle Zugehörigkeit“ der politischen Opfer nicht möglich, insbesondere da viele Quellen keine Angaben zur Konfession beinhalteten.

Exemplarisch wurden im Rahmen des gegenständlichen Forschungsprojekts bei einer der erfassten Opfergruppen die – in diesem Fall auch zumeist erhebbaren – Angaben zur Konfession ausgewertet.

Von den insgesamt 1011 Personen, die das Vogelsang-Institut aus den Quellen Justizakten der Landesarchive, Landesgericht Wien, Landesgericht Graz, Zuchthaus Brandenburg, Zuchthaus Stadelheim/München recherchiert hat, konnten folgende Religionszugehörigkeiten festgestellt werden:

  • römisch-katholisch: 752
  • evangelisch: 71
  • konfessionslos: 56
  • gottgläubig: 47
  • Religionsbekenntnis unbekannt: 85

Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW)

Trotz der – im Hinblick auf die Erhaltung ihrer legalen Existenz – vorsichtigen Haltung der katholischen Amtskirche gegenüber dem NS-Regime wurden zahlreiche Priester, Ordensangehörige und engagierte Gläubige zu entschiedenen Gegnern des Nationalsozialismus. Das Spektrum reicht hier von der Mitwirkung in Widerstandsgruppen des katholisch-bürgerlichen Lagers über individuelle Widerstandshandlungen („staatsfeindliche“ Äußerungen, „Rundfunkverbrechen“ etc.) bis zu spontanen Protesten gegen antikirchliche Maßnahmen.

Priester, Nonnen und kirchliche Laien litten unter Verfolgungen und Gestapo-Terror, wurden beobachtet und oftmals wegen NS-kritischer Äußerungen denunziert. Die Bandbreite der darauf folgenden Maßnahmen reichte vom Gauverweis bis zur KZ-Haft. Im KZ Dachau waren ab 1939/40 eigene Priesterblöcke eingerichtet, in denen Geistliche, unabhängig von der Konfession, aus Deutschland und den besetzten Gebieten inhaftiert waren. Der Tiroler Pfarrer Otto Neururer wurde wegen seines Glaubens nach Dachau deportiert und 1940 im KZ Buchenwald ermordet, Pater Franz Reinisch, geboren in Vorarlberg, wurde 1942 wegen Wehrdienstverweigerung im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet – sie sollen als Beispiele für die unmenschliche Verfolgung von glaubenstreuen Priestern genannt werden.

Auch Laienorganisationen oder katholisch orientierte Organisationen wie beispielsweise der Mittelschüler-Kartell-Verband oder der Österreichische Cartellverband wurden unmittelbar nach dem „Anschluss“ 1938 aufgelöst resp. verboten. Einige Mitglieder, zudem frühere Protagonisten des „Ständestaates“, wurden umgehend von den Nationalsozialisten verhaftet: Im ersten österreichischen Transport ins KZ Dachau befanden sich Wiens „Ständestaat“- Bürgermeister Richard Schmitz und Staatsrat Eduard Ludwig. Bereits Ende März waren Maximilian Hohenberg und Ernst Hohenberg, entschiedene NS-Gegner, in Dachau eingeliefert worden. Der Jurist und Universitätsprofessor Hans Karl Frhr. Zeßner von Spitzenberg verstarb bereits am 1. August 1938 in Dachau.

Verwüstungen im Erzbischöflichen Palais

Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW)

Die vom NS-Regime vor allem zu Beginn seiner Herrschaft geschickt dargestellte Propagierung von Gemeinsamkeiten zwischen dem Christentum und dem Nationalsozialismus verfehlte gerade in der ersten Phase aber nicht ihre Wirkung auf die breite Masse der Gläubigen. Es soll an dieser Stelle nicht unausgesprochen bleiben, dass die Auffassung von der vermeintlichen Vereinbarkeit von Kirche und Nationalsozialismus durchaus existent war. Das Porträt Adolf Hitlers neben einer Darstellung der Muttergottes war für viele Christen vereinbar. Selbst nach der offen gezeigten „Kirchenfeindlichkeit“ der Nationalsozialisten nach dem Rosenkranzfest im Oktober 1938 in Wien hatte zwar seitens der Kirchenführung und der Bischöfe die Appeasementpolitik ihr Ende gefunden, offener Widerspruch blieb jedoch die Ausnahme. Im Zuge des Rosenkranzfestes war es vor dem Wiener Stephansdom zu einer spontanen Kundgebung vor allem katholischer Jugendlicher gegen den Nationalsozialismus gekommen, daraufhin wurden die erzbischöflichen Räume von Angehörigen der Hitler-Jugend verwüstet und Teilnehmer der Kundgebung verhaftet – so der damals 18-jährige Hermann Lein, der die Konzentrationslager Dachau und Mauthausen überlebte.

Während sich manche mit den neuen Verhältnissen arrangierten, gingen andere in den aktiven Widerstand, wie zum Beispiel Helene Kafka (Sr. Maria Restituta) und Franz Jägerstätter. Sie bewahrten konsequent ihre christlich orientierte Einstellung und Haltung. Sr. Maria Restituta wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat 1943 im Wiener Landesgericht hingerichtet, der von Kirche und Gesellschaft erst sehr spät gewürdigte Franz Jägerstätter wurde im selben Jahr in Brandenburg wegen Wehrdienstverweigerung ebenfalls enthauptet.

Die meisten österreichischen katholischen Oppositionsgruppen etablierten sich im Herbst/Winter 1938, nachdem die Konfrontation mit dem NS-Regime unausweichlich geworden war. Der Theologieprofessor Roman Karl Scholz, der Rechtsanwalt Jakob Kastelic und der Finanzbeamte Karl Lederer organisierten je eine Widerstandsgruppe, deren führende Männer und viele Mitglieder zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.

Die Unterdrückung kirchlichen Lebens durch die Nationalsozialisten beeinflusste das Oppositionsverhalten vieler Gläubiger mit. Jedoch traten allein in den Jahren 1938/1939 im ehemaligen Österreich zehntausende Menschen aus der katholischen Kirche aus. Erika Weinzierl ist vorbehaltlos zuzustimmen, wenn sie ab diesem Zeitraum das „Ende der traditionellen Seelsorgemöglichkeiten“ konstatiert. Die katholische Kirche in Österreich hatte die Beschlagnahme und Aufhebung von 26 großen Stiften und Klöstern und 188 anderer Männer- und Frauenklöster – ohne Einbeziehung zahlreicher Filialen – zu beklagen. Die Schließung der katholischen Privatschulen traf über 1400 Anstalten. Die Aufhebung der Kongrua-Gesetze (vermögensrechtliche Regelung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften) und die Beschlagnahme von Kirchenvermögen, verbunden mit der Liquidation des Religionsfonds, waren schwere materielle Einbußen. Die Auflösung von rund 6000 kirchlichen Vereinen, Werken und Stiftungen sowie die Einstellung aller Kirchenzeitungen berührten in irgendeiner Form die Mehrheit der Gläubigen.

Auch wenn im Verlauf des Krieges die Kirchenpolitik des NS-Regimes in etwas ruhigere Bahnen geriet (Erika Weinzierl), änderte dies aber nichts an der grundsätzlichen Ablehnung und der Verfolgung missliebiger Kirchenvertreter und Oppositioneller aus dem Glauben heraus. Bis Kriegsende wurden religiöse Aktivitäten von den Nationalsozialisten genau beobachtet. Trotzdem hat Ernst Hanisch zweifellos recht, dass die Kirchenführung die Loyalität zum NS-Staat nie in Frage gestellt hat und letztlich „die Kirche als Bündnispartner in das NS-Herrschaftssystem eingegliedert“ war.

Für die Seelsorge galt von Seiten der Amtskirche, dass jede Vermengung von kirchlichen Belangen mit politischen Aspekten kritisch zu hinterfragen war oder von ihr von vornherein rundweg abgelehnt wurde. Folglich war Widerstand überhaupt nur dann nicht gänzlich untersagt, wenn er Kardinal Innitzers Pastoralanweisung zur Vermeidung einer Konfrontation mit der NS-Herrschaft entsprach. Damit war zumindest von amtskirchlicher Seite die Unterstützung jedes kirchlichen Widerstandes als pastoralwidrig unmöglich geworden. Die Rosenkranzfeier vom Oktober 1938 und die von Kardinal Innitzer eingerichtete „Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“ bildeten Ausnahmen.

Lange Zeit war der politisch organisierte Widerstand im Fokus der Aufmerksamkeit, während die verschiedenen anderen Formen von oppositionellen Handlungen – individueller Widerstand, passive Resistenz, Nonkonformismus, soziales Protestverhalten u.a. – oft unterschätzt wurden. Dem längst stattgefundenen Umdenken hat auch dieses Projekt Rechnung getragen, das Verfolgung wegen antinationalsozialistischen Äußerungen, verbotenen Abhörens ausländischer Sender, Sabotage und Hilfeleistung für Verfolgte (Juden und Jüdinnen, Fremdarbeiter, Kriegsgefangene, Solidarität mit politisch Verfolgten etc.) u.v.a.m. berücksichtigte und damit in der vom DÖW seit jeher gepflogenen Tradition eines weiten Widerstandsbegriffs steht. Humanitäre Erwägungen, Mitleid für den verfolgten Nächsten, Abneigung und Hass gegenüber einem verbrecherischen Regime waren auch Wurzeln für einen unorganisierten Widerstand, der genauso wie der organisierte Widerstand seitens des NS-Staates mit aller Härte verfolgt wurde.

Der Großteil der vor dem Volksgerichtshof, den OLG Wien und Graz bzw. den Sondergerichten verhandelten Fälle bezog sich auf Delikte wie Landes- und Hochverrat, aber auch auf das Heimtückegesetz oder Vergehen gegen Rundfunkgesetze oder Wirtschaftsverordnungen. Dabei handelte es sich um Bestrafungen von defätistischen Äußerungen, Verbreitung von regimekritischen Gerüchten oder Witzen, Beleidigung von führenden NS-Funktionären, prokommunistische bzw. prokatholische Äußerungen, Singen verbotener Lieder, Verweigerung des Deutschen Grußes usw.

In jeder Phase der Jahre 1938 bis 1945 spiegeln oppositionelle Tatbestände bis zu einem gewissen Grad die Stimmung in der Bevölkerung wider, weil sie in den meisten Fällen nicht bewusst „heimtückische Äußerung“ oder „Wehrkraftzersetzung“, sondern oft spontaner Ausdruck der Enttäuschung, der Erbitterung und des Hasses gegen das NS-Regime waren.

Das Fallbeispiel des Landgerichts Wien in den Jahren 1938 bis 1945 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Kriegsverlauf und der Intensität der nationalsozialistischen Verfolgung. An keinem anderen Gedächtnisort der nationalsozialistischen Verbrechen in Wien wurden vergleichbar viele politisch Verfolgte zu „Todesopfern“ des NS-Terrors. Von 1938 bis 1945 wurden in der Strafvollzugsanstalt beim Landgericht Wien mehr als 1200 Menschen hingerichtet. Mehr als die Hälfte von ihnen war aufgrund politischer Delikte verurteilt worden, wobei es sich bei den vom Volksgerichtshof Verurteilten größtenteils um politische Widerstandskämpfer, Kommunisten, Sozialisten sowie Katholisch-Konservative handelte. Bis 1943 fungierte die Untersuchungshaftanstalt Wien 1 als Hinrichtungsort für die Vollstreckungsbehörden der OLG Bezirke Wien, Graz und des deutschen Landgerichts Brünn, bis 1940 hatte auch der LG-Bezirk Znaim zum Wiener „Gerichtsbezirk“ gehört. In der Folge erhielten der Oberlandesgerichtsbezirk Graz und der deutsche Oberlandesgerichtsbezirk Prag Mitte 1943 eigene Hinrichtungsstätten. Der Wegfall der zum Tode Verurteilten der Gerichtsbezirke Graz und Brünn bedeutete für die Wiener Untersuchungshaftanstalt allerdings nur eine vorübergehende Reduktion der Hinrichtungen, da ab 1943 Wehrmachtsgerichte die von ihnen verhängten Todesurteile größtenteils in der Strafvollzugsanstalt Wien vollstrecken ließen. Bis dahin waren die Todeskandidaten aus den Wiener Wehrmachtsgefängnissen auf dem Militärschießplatz Kagran durch eigene Füsilierungskommandos erschossen worden. Pfarrer Franz Loidl, der später zu den bekanntesten Kirchenhistorikern Österreichs gehörte, begleitete viele zum Tode Verurteilte auf ihrem letzten Weg. 

Schwester Maria Restituta (Helene Kafka, 1894 - 1943) von der Kongregation der Schwestern des Dritten Ordens des Hl. Franziskus (Hartmannschwestern) wurde wegen Hochverrats (Verbreitung eines anti-nationalsozialistischen "Soldatenliedes" im Kankenhaus Mödling) am 30. März 1943 in Wien hingerichtet.

Quelle: Dokumentaionsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW)

Es war der katholische Gefangenenseelsorger Eduard Köck, der in der NS-Zeit hunderte Delinquenten im Landesgericht betreute und das Sterbebuch führte, das für die Studien zum Projekt „Namentliche Erfassung der österreichischen Opfer politischer Verfolgung 1938–1945“ eine wesentliche historische Quelle war. In diesem Buch finden sich die Namen von Widerstandskämpfern wie Roman Karl Scholz und Hanns Georg Heintschel-Heinegg, Jakob Kastelic, Helene Kafka (Sr. Maria Restituta) oder Kaplan Heinrich Maier, der Ende März 1945 noch als einer der Letzten vor der Befreiung hingerichtet wurde, genauso wie die Namen vieler Sozialisten und Kommunisten, die sich für die österreichische Unabhängigkeit einsetzten und schließlich von der NS-Justiz hingerichtet wurden.

Die aus den Sterbematrikeln entnommenen Aufzeichnungen des Wiener Landesgerichts machen klar, dass während der Zeit des Nationalsozialismus 1938 bis 1945 von 1184 Todeskandidaten 1020 bis zu ihrer Hinrichtung religiös betreut wurden, 164 Delinquenten lehnten nach diesen Aufzeichnungen priesterlichen Beistand ab.

Die verschiedenen Kirchenleitungen waren Einschränkungen unterschiedlichen Ausmaßes ausgesetzt und passten sich in unterschiedlicher Intensität dem nationalsozialistischen Regime an. Die einzelnen Gläubigen konnten sich nicht auf eine Handlungsanleitung seitens einer Institution berufen, jeder und jede war dem eigenen Gewissen verantwortlich. Für jene Menschen, die aufgrund ihrer religiösen Wertehaltung zu Verfolgten wurden, gibt es keinen Gradmesser, auf dem die Tiefe und Wirksamkeit der Konfession messbar wäre. Jede und jeder einzelne der Gläubigen – Geistliche wie Laien gleichermaßen – war im Widerstand sich selbst überlassen.

 

Quelle: www.doew.at; Namentliche Erfassung der Opfer politischer Verfolgung 1938–1945 unter https://www.doew.at/cms/download/o31q/schoenner-1.pdf

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