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Wehrmachtslazarette

Unter Wehrmachtslazaretten versteht man grundsätzlich jene Widerstandsbewegungen, die sich in Lazaretten der Wehrmacht bildeten, und Soldaten bewußt krank, also frontuntauglich schrieben und sie so vom Einsatz an der Front zurückhielten. Eine der stärksten und ersten Gruppen, war jene innerhalb der Artillerie-Einsatzabteilung 109 in Brünn, welche sich um 1942/1943 bildet.

Stephan Roth (DÖW) dazu:

 

Aufbau der Widerstandsgruppe in Brünn

Auf die Entstehung der Widerstandsgruppe innerhalb der Artillerie-Ersatzabteilung 109 wird in der bisher veröffentlichten Literatur nur marginal eingegangen. Im Rot-Weiß-Rot-Buch wird der Beginn der Tätigkeit im Dezember 1943 in Brünn angesetzt, auch Pepper nennt dieses Jahr, wiewohl er keine genauen Monatsangaben macht. Der in Beckers Broschüre mit Initialen G. K. genannte Unteroffizier Georg Krasser setzt den Beginn des Widerstandes viel früher an. Im Personalstandesblatt seiner CV-Verbindung Norica Wien gibt Krasser am 15. November 1945 an, seit 1942 im Widerstand der Abteilung 109 tätig gewesen zu sein.

Krasser berichtet, dass er im Herbst 1941 an der Ostfront an Ruhr erkrankte und nach einem Lazarettaufenthalt zur Ersatzeinheit 109 nach Brünn kam, wo sich die Abteilung seit 1. August 1941 befand. Krasser erzählte in zwei Interviews weiter, dass er erwartete, bald wieder an die Front abgestellt zu werden, was er auch wollte. Sein Cousin Oberleutnant Hans Janauschek, der Adjutant des Abteilungskommandeurs war, überzeugte ihn, bei ihm in der Etappe zu bleiben. Janauschek, der ebenso Mitglied der CV-Verbindung Norica war, verschaffte Krasser mit Unterstützung der gleichfalls bei Norica korporierten Ärzte Franz Ritschl und Albert Rheinberger die erforderlichen medizinischen Atteste, um als frontuntauglich kategorisiert zu werden. Krasser wurde mit Hilfe Janauscheks zum IIb des Stabes, dem Sachbearbeiter für Unteroffiziere und Mannschaften ernannt und trat Ende Jänner/Anfang Februar 1942 seinen neuen Posten in Brünn an. Etwa ein halbes Jahr später stieß mit Franz Derndorfer ein weiteres Mitglied von Norica zur Abteilung 109 nach Brünn. Derndorfer war gemeinsam mit Krasser an der Front gewesen und wurde über dessen Vorschlag von Janauschek zum IIa des Stabes, dem Sachbearbeiter für Offiziere bestellt.

Durch den Einfluss Janauscheks wurde Krasser klar, dass der selektive Umgang mit Frontanforderungen ein – wie er es nannte – antinazistisches „Heimatfront“-System bilden könnte. Begünstigt durch ihre administrative Position im Stab der Abteilung und die Deckung Janauscheks als Adjutant ging Krasser gemeinsam mit Derndorfer daran, bei den laufenden Anforderungen vor allem Nazis oder „Altreichsdeutsche“ an die Front abzustellen. Österreicher wurden solange wie möglich in der Etappe gehalten, dabei war die weltanschauliche Ausrichtung der Soldaten zweitrangig, solange diese keine Nazis waren. In geringerem Maße galt dies auch für nicht nationalsozialistisch eingestellte „Altreichsdeutsche“. Auf diese Weise wurde die Abteilung 109 langsam zu einer überproportional österreichischen, anti-nazistischen Abteilung gewandelt.

Der Schlüsselrolle von Janauschek, Krasser und Derndorfer bei der Gründung der Widerstandsgruppe wird in einem „Vorläufigen Tätigkeitsbericht“ der „2. Österreichischen Befreiungsbrigade“, der sich sowohl im Nachlass von Hauptmann Estermann als auch im Niederösterreichischen Landesarchiv fand, folgendermaßen Rechnung getragen:

„Dank der langjährigen aufopfernden Tätigkeit des vor- u. nachmaligen Adjutanten Oblt.d.R. Hans Janauschek, der es vorerst verstanden hatte, sich mit einem Stab betont österreichisch gesinnter Sachbearbeiter zu umgeben, wurde in jahrelanger unermüdlicher Arbeit, trotz altreichsdeutscher Kommandeure, der rein österreichische Charakter der Abteilung im Sinne des AR [Artillerie-Regiment], aus dem sie hervorgegangen waren, gewahrt.“

Ein weiteres Mitglied der CV-Verbindung Norica, Edwin Stemberger, kam aufgrund einer Verwundung im Laufe des Jahres 1943 zu den 109ern nach Brünn. Der Generalstabsarzt wollte ihn nach einer gewissen Zeit der Rekonvaleszenz wieder für kriegsverwendungsfähig erklären und ordnete zur vollständigen Wiederherstellung Stembergers eine Operation an. Der in der Schreibstube des Stabes beschäftigte Stemberger wurde durch die Hilfe von Janauschek und Estermann vor der Wiedereinberufung bewahrt.

Hugo Pepper stieß im Dezember 1942 zu den 109ern. Er besuchte danach die Offiziersschule zunächst im Arsenal in Wien und später wieder in Brünn und wurde am 1. April 1943 als Leutnant ausgemustert.

Da Pepper aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr fronttauglich war, kam er zur Ersatzabteiltung 109 zurück und wurde der abteilungseigenen Nachrichtenbatterie als Ausbildungsoffizier zugeteilt, später wurde er zum Batterieführer ernannt. Auch er versuchte politisch zuverlässige, nicht nationalsozialistisch eingestellte Männer zu halten. Pepper beziffert die auf diese Weise zurückgehaltenen Personen mit etwa einem Dutzend bei einer von ihm geschätzten Batteriegröße von 100 Mann.

Darüber hinaus schaffte Pepper mit seiner Gruppe Waffen und Munition beiseite und stellte Kontakte zu einer tschechischen Widerstandsgruppe bei der Post her, um einen Angehörigen mit teilweise jüdischer Herkunft vor polizeilichen Zugriffen zu schützen. Pepper arbeitete seinen Angaben zufolge rund ein Jahr – also etwa bis April oder Mai 1944 – auf diese Weise, bis er eines Tages vom Abteilungskommandanten Estermann auf diese Tätigkeiten angesprochen wurde. Estermann beruhigte Pepper dahingehend, dass er die selben Ziele verfolge und sich freuen würde, Pepper und dessen Gruppe in seinen die Abteilung umfassenden Kreis aufzunehmen.

Die Darstellung Peppers wirft vor allem die Frage nach der Rolle Hauptmann Estermanns auf. Dieser übernahm dem „Vorläufigen Tätigkeitsbericht“ zufolge als erster Österreicher die Führung der Abteilung am 15. Dezember 1943. Peppers Darstellung sieht Estermann von Anfang an in einer sehr aktiven Rolle, wiewohl Pepper erst im April 1943 ständig bei der Abteilung in Brünn war, weshalb er die Zeit davor nicht persönlich erlebt hatte. Dem stehen die Aussagen Krassers gegenüber. Seiner Darstellung nach war Estermann zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in die Aktivitäten der Widerstandsgruppe eingeweiht, Janauschek schirmte alle widerstandsrelevanten Informationen von ihm ab.

Janauscheks wichtige Funktion innerhalb der Widerstandsgruppe wird in den bisher veröffentlichten Darstellungen wenig berücksichtigt. So ist er im Rot-Weiß-Rot-Buch lediglich Zeuge, bei Krasser allerdings die zentrale vorbereitende Figur. Janauscheks Bruder Dr. Josef Janauschek, der als Truppenarzt tätig war, schrieb 1967:

„Bevor Lemberg eingeschlossen wurde [im Juli 1944], kam ich mit unserem Lazarett nach Brünn, wo ich mit Georg Krasser und meinem Bruder Hansl fleißig damit beschäftigt war, aus gesunden deutschen Wehrmachtsangehörigen kranke Österreicher, die nicht fronttauglich waren, zu machen.“

Ein Beispiel dafür nennt auch Edwin Stemberger, dessen Bruder nach einer Verwundung wieder an die Front abgestellt werden sollte. Auf Intervention Janauscheks wurde der Bruder im Winter 1944/45 – mit der Begründung der Notwendigkeit eines Panzerabwehrsoldaten zur Schulung der 109er – zu den 109ern versetzt. Stemberger bezeichnet diese Intervention als lebensrettend für seinen Bruder. 

Janauschek war länger als Estermann in der Abteilung als Adjutant tätig und kannte deren Usancen mit Sicherheit besser. Molden erwähnt, dass es Janauschek war, der später den Kontakt zu Major Szokoll in Wien herstellte. In diesem Zusammenhang erinnerte sich Krasser, dass Janauschek immer die Redewendung „mein Freund, der Szokoll“ verwendete. Wann es zum Kontakt zwischen den beiden kam, lässt sich anhand der zur Verfügung stehenden Quellen nicht mehr feststellen. Becker gibt den Winter 1943/44 als Zeitraum an, in dem sich eine widerständische Organisation innerhalb der Wehrmacht im Großraum Wien konsolidiert hatte, die sich aus Angehörigen acht verschiedener Einheiten – darunter auch die Artillerie-Ersatzabtei- lung 109 – zusammensetzte und im Kontext der sich bildenden „O5“ zu sehen ist. Dass Janauschek vermutlich der zentrale Verbindungsmann bei den 109ern war, legt auch dessen Erwähnung in Szokolls Erinnerungen über die Rettung Wiens 1945 nahe, darin wird Janauschek namentlich vor Estermann genannt und versehentlich als ranghöher eingestuft.

Basierend auf der 1943 üblichen Sollstärke einer Artillerie-Abteilung, bestehend aus drei Batterien à 200 Mann und dem Abteilungsstab à 100 Mann, insgesamt also etwa 700 Mann und Offiziere, kann für den Umfang der Widerstandstätigkeit der Artillerie-Ersatz- und Ausbildungsabteilung 109 folgende Größenordnung ausgemacht werden: Beginnend mit Februar 1942 bildete sich ausgehend vom Stab der Abteilung eine kleine Widerstandsgruppe, die im Laufe der Zeit circa 150 – heimattreue österreichische – Soldaten vom Fronteinsatz zurückhalten konnte. Auf diese Weise wurden das Offizierskorps und vor allem die Schreibstuben der einzelnen Abteilungsbatterien sukzessive mit verlässlichen Personen besetzt. Zum Zeitpunkt der von Major Szokoll bewerkstelligten Verlegung der Abteilung von Brünn nach Amstetten im Dezember 1944 bestand also etwa ein gutes Fünftel der Abteilung aus österreichisch gesinnten Personen.

 

Quelle: Stephan Roth (2009):DÖW-Jahrbuch 2009 (Wien). S. 66.ff.

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